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© Johannes Seidl

Sexualbegleitung:
Ein erfahrungsbericht

Sexualbegleitung ermöglicht Menschen mit Behinderungen, ihre sexuellen Bedürfnisse und Wünsche in einem sicheren und respektvollen Rahmen zu erleben. Diese Dienstleistung wird von speziell geschulten Fachkräften angeboten. Sie achten dabei auf die individuellen Bedürfnisse und Grenzen ihrer Kund*innen. Sexualbegleitung kann helfen, sexuelle Selbstbestimmung zu fördern. Martin Gutschy berichtet von seinen Erfahrungen mit Sexualbegleitung.

von Martin Gutschy

 

Mein Name ist Martin Gutschy, ich bin seit über 10 Jahren Kunde bei einer sehr netten Sexualbegleiterin. Ihr Name ist Lialin.

 

Die Chemie muss stimmen

Als ich volljährig war, habe ich bemerkt, dass ich eine Veränderung in meinem Körper durchmache. Ich habe mit meiner damaligen Betreuerin darüber geredet und sie hat mir die Sexualbegleitung empfohlen. Sie war auch so nett und hat mich dabei unterstützt, mir eine Sexualbegleiterin zu suchen. Wir haben damals die Internetseite von „Libida“ besucht und da habe ich dann Lialin entdeckt. Nach ein paar Terminschwierigkeiten von ihr und mir, hat unser erstes Kennenlernen dann endlich geklappt. Die Chemie hat bei uns beiden auf Anhieb gepasst und wir waren uns sehr sympathisch.

 

Unterstützung durch die Familie

Mittlerweile treffen wir uns einmal im Monat. Lialin besucht mich entweder im Wohnhaus oder zu Hause. Zum Glück habe ich eine Mutter, die diesem Thema gegenüber sehr offen ist und mich dabei unterstützt. Wenn ich damals die Sexualbegleitung nicht kennen gelernt hätte, hätte mir meine Mutter einen Besuch bei einer Prostituierten ermöglicht. Meine Mutter hatte auch Sorgen, wie das mit meiner Sexualität funktionieren kann, aber diese Sorgen haben sich nicht bestätigt.

 

Gut für mein Selbstwert-Gefühl

Die Sexualbegleitung ist mir deshalb so wichtig, weil ich mich dabei wie ein Mann fühlen kann. Es gibt zwar keinen Geschlechtsverkehr, aber ich darf Lialin überall zärtlich berühren. Diese Intimität, die wir inzwischen haben, hat sich über Jahre aufgebaut und gefestigt.

 

 

Meine Arbeit als Medienassistent

Mittlerweile bin ich ihr Medienassistent. Wenn sie eine Anfrage bekommt, zum Beispiel als Teil einer Reportage, helfe und unterstütze ich sie gerne. Ich weiß ganz genau, worauf es ihr ankommt und was ihr wichtig ist. Im Moment bin ich gerade dabei, bei einer Film-Dokumentation mitzuarbeiten. Außerdem haben Lialin und ich mit dem Fotografen Johannes Seidl zusammengearbeitet. So ist der Bildband „Achtsam berühren“ entstanden, welches sich mit dem Thema Sexualbegleitung beschäftigt.  

 

Herausforderungen und Neuanfänge

Im Jahr 2017 hat Alpha Nova die Marke „Libida“ nach großen Schwierigkeiten aufgegeben. Es gab eine Anzeige. Das war sehr schwer für mich, da ich das Gefühl hatte, in der Luft zu hängen. Es gab ja kein annähernd gleiches Angebot für mich. Nach längerer Recherche besuchte ich dann eine Tantra-Masseurin. Diese hatte ebenfalls die Ausbildung zur Sexualbegleiterin gemacht. Ein paar Mal war ich bei ihr, das war sehr interessant, weil ich mit ihr mein erstes Mal hatte. Ich war sehr überrascht, als sie mir angeboten hat, mit mir zu schlafen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, da es in der Sexualbegleitung prinzipiell nicht angeboten wird, was für mich auch total in Ordnung ist. Es war für mich, dank ihr, ein Moment, den ich nie vergessen werden. Diese Dame war es dann auch, die eine Unterschriften-Aktion startete, um „Libida“ zu retten. Als Lialin dann die Marke „Libida“ übernahm, war ich sich sehr froh darüber.

 

Das Tabu muss weg

Ich würde mich sehr freuen, wenn alle Menschen mit Behinderung, die es möchten, die Sexualbegleitung erleben könnten. Leider ist es noch immer ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft, welches hoffentlich mit Hilfe von Dokumentationen und Öffentlichkeitsarbeit aufgebrochen werden kann. 

Rechtliche Rahmenbedingungen
für Sexualbegleitung in Österreich


Sexualbegleitung ist in Österreich kein geschützter Begriff. Seit 2017 fällt die Sexualbegleitung unter das Prostitutionsgesetz. Damit sollten klare Richtlinien geschaffen werden. Diese Entscheidung brachte einige Änderungen. Zum einen besteht dadurch eine Anmeldepflicht: Sexualbegleiter*innen müssen sich, genauso wie andere Sexarbeiter*innen, bei der Behörde anmelden. Das ist die Voraussetzung für die legale Ausübung dieses Berufs. Außerdem gibt es verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen. Diese müssen Sexualbegleiter*innen in regelmäßigen Abständen machen. Sexualbegleiter*innen müssen sich selbstständig versichern und Steuern zahlen. Durch das Prostitutionsgesetz gibt es stärkere Kontrollen.
Auch je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regelungen. Hausbesuche sind derzeit nur in der Steiermark, Oberösterreich, Niederösterreich und Wien erlaubt. Nur wo Hausbesuche zulässig sind, ist Sexualbegleitung in der Wohnung der Kund*innen oder in einer Einrichtung, in der sie wohnen, legal möglich.
Nachdem die Sexualbegleitung unter das Prostitutionsgesetz fiel, entschieden sich einige Sexualbegleiter*innen, diesen Beruf nicht mehr auszuüben. Zum einen wollten sie nicht als Sexarbeiter*innen gelten, zum anderen bedeutete diese Gesetzesänderung auch einen erhöhten bürokratischen Aufwand.


„Sophie“, eine Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen in Wien, bietet eine Ausbildung für Sexualbegleitung an. Mehr dazu: http://www.sophie.or.at/

Lebenshilfe Steiermark
Mariahilferplatz 5/1
8020 Graz