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Oft übersehen: Psychische erkrankungen bei menschen mit behinderung

Auch Menschen mit Behinderung können psychisch erkranken. Sie haben sogar ein erhöhtes Risiko psychisch krank zu werden. Trotzdem werden diese Erkrankungen oft nicht richtig erkannt und behandelt.

Von Claudia Schröder

 

Die Gründe für die Entstehung psychischer Erkrankungen sind vielfältig und komplex. Es kann zum Beispiel biologische Risikofaktoren geben. Aber auch äußere Einflüsse, sogenannte Umweltfaktoren, können Grund für eine psychische Erkrankung sein. Solche Umweltfaktoren sind zum Beispiel eine eingeschränkte Selbstbestimmung, verringerte verbale Kommunikations-Fähigkeit oder Nebenwirkungen durch Medikamente.

 

Schwer zu erkennen

Für Ärzt*innen und Therapeut*innen ist es nicht immer einfach, eine psychische Erkrankung richtig zu diagnostizieren. Das hat verschiedene Gründe. Manche Menschen können ihre Symptome verbal nicht gut beschreiben. Manchmal werden Symptome einfach der Behinderung der betroffenen Person zugeschrieben, obwohl es eigentlich von einer psychischen Erkrankung ausgeht. Bei der Diagnose braucht es  Zeit und es muss genau hingeschaut werden. So kann man herausfinden, ob ein Verhalten mit der bestehenden Behinderung zusammenhängt, oder der Grund eine psychische Störung ist.

 

Angepasste Therapie

Menschen mit Behinderung fällt es nicht immer leicht, ihre Beschwerden zu formulieren und Verhaltensmuster zu reflektieren. Das ist auch in der Psychotherapie selbst eine Herausforderung. Oft ist die Psychotherapie sehr sprachbasiert. Es wird über Probleme geredet und Lösungen werden im Gespräch erarbeitet. Dazu braucht es eine gute Kommunikations-Fähigkeit und viel Konzentration. Hier braucht es für manche Menschen andere Methoden. Es kann zum Beispiel mit Bildern gearbeitet werden oder man kann Bezugspersonen in die Therapie mit einbauen.

 

Therapie ohne zu sprechen

Manchmal ist klassische Psychotherapie nicht sinnvoll. Es gibt auch Arten von Therapie, bei der man nicht sprechen muss. Zum Beispiel gibt es Kunsttherapie. Dabei können Gefühle und Gedanken gestalterisch ausgedrückt werden. Das kann für manche Menschen einfacher sein, als zu sprechen. Es gibt dabei viele Möglichkeiten. Man kann etwas zeichnen, mit Ton arbeiten oder auch mit Wolle. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Eine weitere Möglichkeit ist Musiktherapie. Die Musiktherapie ist auch eine guter Weg, ohne zu sprechen, therapeutisch zu arbeiten. Für Musiktherapie braucht man keine musikalischen Vorkenntnisse. Es wird mit einfachen Instrumenten wie Glockenspiel oder Trommeln gearbeitet. Macht man selber Musik, nennt man das aktive Musiktherapie. Es gibt auch Musiktherapie, bei der man sich Musik anhört. Das nennt man regulative Musiktherapie.

 

Interview mit Psychotherapeutin Ela Neidhart

Ela Neidhart ist seit 2009 in freier Praxis als humanistische Psychotherapeutin tätig. Außerdem hat sie eine Ausbildung zur Diplomierten Behindertenpädagogin abgeschlossen.

 

Haben Menschen mit intellektueller Behinderung öfter psychische Erkrankungen?

Ja. Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung leiden deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen als die sogenannte Allgemeinbevölkerung. Die Prävalenz ist drei bis viermal so hoch, also das ist schon gravierend.

 

Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach?

Ich glaube es liegt zum einen daran, dass psychische Erkrankungen nicht so leicht erkennbar sind. Und neben dem nicht erkennbaren kommt eine Häufung von Traumatisierungen hinzu. Meiner Erfahrung nach haben Menschen mit intellektuellen Entwicklungsstörungen häufig Traumatisierungen. Stigmatisierung ist auch ein Grund, warum es Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung mehr trifft. Und ein weiterer Punkt ist die Kommunikationsbarriere. Menschen die sich nicht so gut ausdrücken können, haben ein erhöhtes Risiko sich ängstlich oder frustriert zu fühlen.

 

Was sind die Besonderheiten in der Psychotherapie mit Menschen mit intellektuellen Behinderungen?

Ich glaube, dass Vernetzung das Wichtigste ist. Das ist nicht so einfach, weil es eine gesetzliche Schweigepflicht gibt. Ich mache es so, dass ich Klient*innen frage, ob ein Vernetzungsgespräch, zu dem sie einladen können wen sie wollen, möglich ist. Ich erkläre warum das wichtig wäre und was sie davon haben.

 

Und was sind die größten Herausforderungen?

Eine der großen Herausforderungen ist für mich, herauszufinden ob Psychotherapie Sinn macht oder nicht. Es wird immer mit viel Hoffnungsgefühl in die Psychotherapie gegangen. Es ist als ob Psychotherapie ein bisschen zaubern könnte. Und das ist natürlich nicht der Fall. Psychotherapie erfordert ein Mindestmaß an Selbstreflexion. Und diese Abklärung, ob nicht eine Musiktherapie, eine Ergotherapie oder Schwimmen gehen besser wäre das ist die Herausforderung.

 

Ist die Arbeit mit Menschen mit intellektuellen Behinderungen Teil der Ausbildung zur Psychotherapeut*in?

Nein, gar nicht. Es gibt keine Schwerpunkte in diesem Sinn. Und ich glaube auch in der psychiatrischen Ausbildung ist das ein Randthema, wenn überhaupt. Also da sind wir ganz schlecht. Die Gruppe ist zu klein, es gibt zu wenig Lobby.

 

Welche Methoden gibt es um mit jemandem in der Psychotherapie zu arbeiten, der sich verbal nicht gut ausdrücken kann?

Es ist wichtig die Psychotherapie nicht zu überschätzen. Sie kann vieles, aber vieles auch nicht. Und ein Minimum an verbaler Kommunikation ist notwendig. Wenn ich mit Menschen arbeite, die sich grundsätzlich weniger ausdrücken können, braucht es eine große Vielfalt an Techniken. Wie zum Beispiel mit den Händen reden, Dinge zeigen, mit Bildkarten arbeiten oder mit kreativen Medien arbeiten. Je nachdem, was die Klient*in auch gerne tut. Da muss man maßgeschneidert arbeiten.

Lebenshilfe Steiermark
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