Für Frauen mit Behinderung ist es nicht einfach, Informationen oder Unterstützung zu finden, wenn sie Gewalt erleben. Manche Frauen können nicht in Worten ausdrücken, was ihnen passiert ist. Vielen Frauen wird nicht geglaubt. Manche Frauen sind von den Täter*innen abhängig.
Von Claudia Schröder
Frauen mit Behinderung sind besonders von sexueller Gewalt betroffen. Eine Studie des Sozial-Ministeriums zeigt: 50,9 Prozent der befragten Personen haben sexuelle Gewalt erfahren. 35,8 Prozent waren Opfer schwerer Formen sexueller Gewalt mit Körperkontakt. Wir haben mit Kaja Vozelj von der Beratungsstelle „Kraftwerk“ des Vereins Ninlil über die Ursachen und nötige Maßnahmen gesprochen.
Warum sind Frauen mit Behinderung besonders von sexueller Gewalt betroffen?
Ein Grund ist fehlende Selbstbestimmung und Abhängigkeit. Viele Einrichtungen sind noch immer nicht auf Selbstbestimmung ausgerichtet. Es gibt weniger Wahlmöglichkeiten und viel Fremdbestimmung. Das kann man als institutionelle Gewalt sehen. Ein weiterer Grund ist fehlende sexuelle Aufklärung: Frauen
mit Lernschwierigkeiten werden nach wie vor wie Kinder im erwachsenen Körper gesehen. Ihnen wird Sexualität abgesprochen. Fehlende Inklusion ist natürlich auch ein Grund. Wichtig wäre, dass persönliche Assistenz in ganz Österreich für Menschen mit Lernschwierigkeiten zugänglich ist. Es geht um Selbstbestimmung: Ich kann eine Person kündigen, wenn es mir nicht passt.
Was sind die großen Herausforderungen?
Viele glauben, dass das ein Problem ist, das auf individueller Ebene gelöst werden kann. Das ist nicht so. Derzeit hängt es vom Zufall ab, ob Frauen mit Lernschwierigkeiten von Betreuungspersonen unterstützt werden, denen das Thema Sexualität wichtig ist. Deswegen braucht es eine gesamtgesellschaftliche
Strategie. Schutz vor Gewalt an Frauen mit Lernschwierigkeiten ist eine gesellschafts-politische Aufgabe. Ein weiteres Risiko sind auch Mythen. Menschen glauben, dass Personen mit Behinderung asexuell sind. Oder dass Frauen mit Lernschwierigkeiten keine Gewalt erfahren, weil sie in geschützten Systemen leben. Es gibt auch Mythen, die hinterfragen, wer überhaupt mit einer Frau mit Lernschwierigkeiten schlafen würde. Bei sexueller Gewalt geht es aber weniger um Sexualität an sich, sondern um Gewalt und Macht.
Wie machen Sie auf dieses Thema aufmerksam?
Wir machen Workshops und Fortbildungen für Betreuer*innen und Unterstützungs-Personen in den Bereichen sexualisierte Gewalt und Trauma mit Schwerpunkt Frauen mit Lernschwierigkeiten. Wir halten Vorträge und Seminare an Schulen. Wir machen Öffentlichkeitsarbeit wie Interviews und Podiumsgespräche, wo wir immer wieder das Thema Sexualität und Behinderung einbringen. Im Gewaltschutzbereich sind wir die feministische Stimme für Frauen mit Behinderung. Und wie unterstützen Sie Frauen mit Behinderungen? In unserer Beratungsstelle ist der Schwerpunkt sexualisierte Gewalt. Etwa 80 Prozent sind Einzelberatungen. Frauen können zu uns kommen, so oft sie möchten. Außerdem haben wir eine therapeutische Gruppe, in der betroffene Frauen mit Lernschwierigkeiten über das Erlebte sprechen können. Und es gibt eine Empowerment-Gruppe, in der Frauen selbst bestimmen, was sie machen.
Wir gehen auch in Wohngemeinschaften und Tagesstrukturen und sprechen mit Frauen über unsere Angebote.
Welche Maßnahmen braucht es, damit sich die Situation bessert?
Ein Schritt ist die persönliche Assistenz für Frauen mit Lernschwierigkeiten. Es braucht bessere Rahmenbedingungen für pädagogische Berufe: mehr Ressourcen, mehr Personal. Auch bessere Gehälter, damit dieser Beruf schmackhafter wird. Mehr Ressourcen bedeutet auch, mehr Möglichkeiten, auf
einzelne Bedürfnisse einzugehen. Es muss ein Umdenken in der Politik stattfinden. Statt zu denken: „das alles können Personen mit Lernschwierigkeiten nicht“ soll man denken: „Wie können wir es ermöglichen, dass für alle alles möglich wird“. Frauen mit Behinderung müssen sichtbarer werden. Sie müssen in
der Politik und der Gesellschaft vertreten sein. Wichtige Entscheidungen über Menschen mit Behinderung sollen nicht von Menschen ohne Behinderung getroffen werden. Es sollte auch verpflichtende Fortbildungen zu Themen wie Trauma oder sexualisierte Gewalt für Betreuungs-Personal geben. Und verpflichtende sexual-pädagogische Konzepte und Schutzkonzepte in den Einrichtungen.
Und außerhalb des Behindertenbereichs?
Es braucht Schulungen für Polizist*innen zum Thema sexualisierte Gewalt und Trauma – mit Schwerpunkt Frauen mit Lernschwierigkeiten. Da geht eine Anzeige nicht schnell-schnell. Man muss leichte Sprache verwenden und es braucht ein anderes Tempo. Bei Erzählungen zu traumatischen Erfahrungen fehlen oft Erinnerungen. Manchmal wird eine Geschichte so erzählt und am nächsten Tag anders. Und das ist nicht, weil die Person sich das ausdenkt, sondern weil sich Trauma so auf das Gehirn und auf die Erinnerungen auswirkt. Das wissen viele nicht. Eine Anzeige ist ein großer Aufwand. Auch das muss sich ändern. Der Anzeige-Prozess schützt im Moment mehr die Täter*innen. Und es braucht höhere Strafen für Sexual-Straftäter*innen.
Hier kann man sich Hilfe holen, wenn man Opfer von sexueller Gewalt wird
Beratungsstelle TARA in der Steiermark
Haydngasse 7/1, 8010 Graz
Telefon: 0316 / 31 80 77
E-Mail: office@taraweb.at
“Kraftwerk” des Vereins Ninlil in Wien
Hauffgasse 3-5, 1110 Wien
Telefon: 01 – 714 39 39
E-Mail: office@ninlil.at
Lebenshilfe Steiermark
Mariahilferplatz 5/1
8020 Graz
Telefon: +43 (0)650 81 25 751
Email: office@lebenshilfe-stmk.at
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Lebenshilfe Steiermark
Mariahilferplatz 5/1
8020 Graz
Telefon: +43 (0)316 812575
Email: office@lebenshilfe-stmk.at