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Was fehlt, wenn Inklusion nicht mitgedacht wird

Portraitfoto von Elisabeth Zeilinger

Elisabeth Zeilinger forscht an der Universität Wien.

Foto (c) Luiza Puiu

Wie gut sind Gesundheitsberufe auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung vorbereitet? Eigentlich wollten wir mit der Klinischen Psychologin Elisabeth Zeilinger über Ausbildung sprechen – doch im Gespräch zeigte sich schnell: Das eigentliche Problem liegt viel tiefer.

„Ich habe nie eine Person mit intellektuellen Beeinträchtigungen auf der Onkologie gesehen“, erzählt Elisabeth Zeilinger. Die Klinische Psychologin arbeitete einst im AKH Wien – einem der modernsten Spitäler Österreichs. „Ich habe mich gefragt: Wo sind diese Menschen eigentlich, wenn sie Krebs haben? Wer versorgt sie?“

 

Vom Eigentlichen zu dem was dahinter steckt

Eigentlich wollten wir mit Zeilinger über Ausbildung sprechen – genauer: darüber, wie gut zukünftige Pflegekräfte, Therapeut*innen oder Ärzt*innen auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung vorbereitet werden. Doch das Thema war schnell abgehakt. Der Grund: Es gibt kaum systematische Vorbereitung. Das Problem ist bekannt, aber strukturell nicht gelöst.

Was sich stattdessen im Gespräch zeigte: Ein Flickwerk an Initiativen, dramatische Lücken in der Gesundheitsversorgung und ein erschreckender Mangel an Daten. Zeilinger forscht an der Universität Wien zur Gesundheitsversorgung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen.

 

Ausbildung? Ein Randthema

In der medizinischen oder psychologischen Ausbildung ist das Thema Behinderung kaum verankert. „In der Psychologie war es früher besser – da gab es eine Pflichtlehrveranstaltung zu diesem Thema“, sagt Zeilinger. Heute sei selbst das eher selten. Auch in der postgradualen Ausbildung zur Klinischen Psychologie oder in der Psychotherapie sei kaum etwas vorgesehen. Zeilinger selbst suchte damals vergeblich nach einer Spezialisierung. Zwar gebe es vereinzelt Wahlfächer – meist jedoch nur, wenn sich einzelne Lehrende besonders engagieren. An struktureller Verankerung mangelt es.

 

Sichtbarkeit und Versorgungslücken

Die Folgen dieses Mangels zeigen sich drastisch: Menschen mit Behinderung sind im Gesundheitssystem kaum sichtbar – oder werden nicht mitgedacht. Oft passiert inklusive Versorgung nur dann, wenn es engagierte Einzelpersonen gibt. Doch strukturelle Rahmenbedingungen fehlen: barrierefreie Information, Gesprächskompetenz, Zeit, Informationen in leichter Sprache.

 

Mangelnde Vorsorge, schlechtere Prognose

Das beginnt schon bei der Vorsorge. Viele Menschen mit intellektuellen Behinderungen nehmen diese nicht wahr. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht wissen, dass es sie gibt. Oder weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Folge: Erkrankungen werden später erkannt, die Prognosen sind schlechter. Das passiert oft ohne, dass es jemand bemerkt.

 

Fehlende Daten, fehlende Forschung

Es gibt kaum belastbare Daten zur gesundheitlichen Lage von Menschen mit Behinderung in Österreich. „Wir wissen nicht, ob sie zur Krebsvorsorge gehen, wie oft sie untersucht werden, in welchem Stadium Diagnosen gestellt werden“, sagt Zeilinger. In anderen Ländern lassen sich solche Fragen beantworten, weil dort Registerdaten gezielt ausgewertet werden.

In Österreich hingegen fehlen Strukturen, Geld – und oft schlicht der politische Wille. Dabei könnten bestehende Datenbanken bereits Hinweise liefern. „Wir können oft nur sagen: In anderen Ländern ist es so. Also wird es bei uns wohl auch so sein. Aber genau wissen wir es nicht“, so Zeilinger.

 

Wie es besser gehen könnte

Es gibt aber auch positive Ansätze. Zeilingers Team arbeitet etwa mit einer Beratungsgruppe zusammen, in der Menschen mit Behinderung selbst aktiv mitforschen. Solche partizipativen Formate könnten Vorbild für Ausbildung und Praxis sein. Denn eines ist klar: Gute Gesundheitsversorgung braucht direkte Begegnung, echtes Wissen und strukturelle Rahmenbedingungen – nicht nur gut gemeintes Engagement einzelner.

Was mit einer einfachen Frage zur Ausbildung begann, wurde zum Blick in ein System voller Lücken – und Möglichkeiten. Wer Menschen mit Behinderung wirklich gut versorgen will, muss sie mitdenken: in der Forschung, in der Ausbildung, in der Praxis. Und vor allem: auf Augenhöhe.

Lebenshilfe Steiermark
Mariahilferplatz 5/1
8020 Graz